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Teilen und heilen

Das Sammeln medizinischer Daten revolutioniert unser Gesundheitssystem: Diagnosen werden schneller und exakter, darauf basierend können neue Therapieansätze erarbeitet werden. Doch Patientendaten sind hochsensibel und dürfen keinesfalls in die falschen Hände geraten.

  • 09. Februar 2020
  • 4 Minuten Lesezeit
  • Katrin Lange

Sieben Minuten pro Patient – mehr Zeit hat ein Arzt im Praxisalltag meist nicht. Ein Großteil dieser knappen Zeit vergeht mit Fragen und Antworten zu Beschwerden und Symptomen. Wenn es nach Professor Björn Schuller geht, gehört das bald der Vergangenheit an. „Um das meiste für den Patienten in dieser Zeit rauszuholen, wollen wir den Ärzten gut aufbereitete Daten an die Hand geben“, sagt der Inhaber des ZD.B-Lehrstuhls für „Embedded Intelligence for Health Care and Wellbeing“ an der Universität Augsburg. Schuller forscht zu Anwendungen, die Gesundheitsdaten rund um die Uhr auf Smartphones und anderen Wearables sammeln und auswerten sollen. Ziel ist es, Veränderungen im Körper früh zu erkennen und gegenzusteuern – am besten noch bevor eine Krankheit ausbricht.

Schullers Steckenpferd ist die Analyse der Stimme: „Wir können anhand einer Stimmaufnahme auf die Körpergröße und die Herzfrequenz des Sprechers schließen. Wir erfahren, ob er Depressionen hat, an Parkinson leidet oder ein Autist ist.“ Hinweise auf Autismus will Schullers Team schon anhand des Gebrabbels von zehn Monate alten Babys erkennen, bisher war eine Diagnose erst ab einem Alter von ungefähr fünf Jahren möglich. So könnten Eltern sich rechtzeitig an Experten wenden und sich über Therapien informieren.

App für autistische Jugendliche

Auch die Informatik-Professorin Alexandra Teynor beschäftigt sich mit Autismus. In ihrem Forschungsprojekt AUTARK hat sie gemeinsam mit Augsburger Studenten eine App für autistische Jugendliche entwickelt. Die Eltern geben in der App eine Art To-do-Liste vor, die das Kind Punkt für Punkt abarbeiten kann. So erhalten die Jugendlichen jene festen Strukturen, die Autisten für die Bewältigung ihres Alltags dringend benötigen. Da diese Listen einen tiefen Einblick in das Leben der Familien erlauben, werden die Daten aber nirgendwohin weitergeleitet oder auf externen Servern gespeichert.

Den Schutz der Patientendaten hat Teynor auch bei der Entwicklung von „SMILe“ berücksichtigt. SMILe ist eine Nachsorgeapplikation für Menschen, die eine Stammzellentransplantation erhalten haben. Wenn diese Patienten aus der Klinik nach Hause dürfen, fühlen sich viele von ihnen unsicher. Mit SMILe haben sie eine App zur Hand, in die sie ihre Gesundheitsdaten eintragen können und die dann ans Krankenhaus an einen sogenannten Care-Koordinator übertragen werden.

Facebook, Google und Co. besitzen ein riesiges Interesse an Gesundheitsdaten

Prominent in den Einstellungen des Programms befindet sich ein Schalter, mit dem sich die Einsicht durch den Koordinator auch verhindern lässt. „Privacy by Design“ heißt das Prinzip, das Teynor hier angewendet hat: „Also nicht eine Anwendung auf den Markt bringen und erst im Nachhinein an die Datensicherheit denken. Sondern von Anfang an überlegen: Welche Daten speichere ich? Welche Schutzbedürftigkeit haben diese Daten? Brauche ich die Daten überhaupt? Privatsphäre sollte in allen Apps eine Standardeinstellung sein.“

Profitables Geschäftsfeld

Facebook, Google und Co. besitzen ein riesiges Interesse an Gesundheitsdaten und haben „Digital Health“ als profitables Geschäftsfeld erkannt. Aber auch die Wissenschaft kann von „Big Data“ profitieren. So können Krankheiten erforscht, Therapien verbessert oder Nebenwirkungen von Medikamenten schneller erkannt werden.

Wer seine Daten teilt, leistet also auch einen Beitrag für die Menschheit. „Sharing is caring“ lautet das Motto. „Statt der Blutspende die Datenspende – das wird definitiv kommen“, ist Björn Schuller überzeugt. In Deutschland allerdings wird die Preisgabe so privater Informationen eher skeptisch gesehen. Während Menschen in Asien dank Gesichtserkennung und Iris-Scan mittlerweile ohne Haustürschlüssel und Geldbeutel aus dem Haus gehen, möchten viele Bundesbürger nicht einmal einen Fingerabdruck abgeben. Dass die Krankheitsverläufe von Millionen Krankenhauspatienten ohne deren Wissen an Google verkauft werden – wie unlängst in den USA geschehen –, sollen Gesetze hier verhindern. Im strengen Datenschutz sieht Schuller Fluch und Segen zugleich: „In der KI sind wir de facto weit abgehängt. Aber Not macht erfinderisch. Wir müssen Lösungen finden, wie wir mit sehr wenigen Daten effizient umgehen. Die künstlichen neuronalen Netze, die wir heute verwenden, sind viel zu verschwenderisch. Zudem können unsere Datenschutzstandards uns dann einen Wissensvorsprung verschaffen, wenn sie auch in anderen Ländern als notwendig begriffen werden.“

Was nützt aber der strengste Datenschutz, wenn allein die Stimme zum Beispiel einem potenziellen Arbeitgeber verrät, dass jemand krank ist? Mit den kommerziellen Anwendungen, die Schullers Firma audEERING anbietet, ist das keine Science-Fiction mehr. Doch auch diese Technik lässt sich mit spezieller Software täuschen. Für Menschen nicht wahrnehmbare Signale können den Analyse-Tools falsche Tatsachen vorspielen – also auch, dass der Bewerber topfit ist. audEERING forscht an beidem: „Wir wollen nicht nur die Vorteile bieten, sondern auch vor den Nachteilen dieser Technik schützen.“