SUCHEN NACH:

Hinter den Bergen

Silicon Vilstal? In der niederbayerischen Provinz gibt es keine Palmen, keine Hightech-Multis und keine spiegelnden Glasfassaden, dafür aber viel Unternehmergeist. Ein Ortsbesuch bei Menschen, die Digitalisierung auch ohne Breitband-Internet in Angriff nehmen.

  • 12. Februar 2020
  • 4 Minuten Lesezeit
  • Elisa Holz
Bildrechte: Sonja Herpich

Hier sagen sich Fuchs und Hase nicht gute Nacht. Schließlich ist es auch erst Mittag. Aber still ist es trotzdem. Sehr still. Gelegentlich rauscht ein Auto vorbei, manchmal trägt der Wind das Tuckern eines Traktors übers Land. Zu sehen sind sanfte Hügel an grauem Himmel, spitze Kirchtürme, die hinter diesen Hügeln hervorragen, und Eternitfassaden hinter kantigen Thujenhecken. Das Vilstal, rechts der Donau gelegen, ist nicht lieblich, aber schön. Es ist Provinz und auch „Heimat für Neues“, wie Helmut Ramsauer aus eigener Erfahrung und vor allem eigenem Zutun weiß. Unter diesem Motto hat der „Veränderungsunternehmer“, der hier zu Hause und viel in der Welt unterwegs ist, vor inzwischen vier Jahren die Mitmachinitiative „Silicon Vilstal“ gegründet.

Party mit Sinn

Heimat für Neues klingt nach Laptop und Lederhosen. Hinter Ramsauers Digital-Initiative steckt aber mehr als nur die behauptete Symbiose von Tradition und Moderne. Es ist eine real existierende virtuelle Ausprobierplattform für Neugierige, ein Raum für aufgeschlossene Menschen, die etwas unternehmen wollen, und ein Experimentierfeld für Kreative.

Wenn Ramsauer nicht so leise und zurückhaltend wäre, müsste man ihn als Hansdampf in allen Gassen bezeichnen.

Wenn Ramsauer nicht so leise und zurückhaltend wäre, müsste man ihn als Hansdampf in allen Gassen bezeichnen. Silicon Vilstal hat er sich und seiner Heimat zu seinem 50. Geburtstag geschenkt. Damals organisierte er nicht nur ein Fest, sondern gleich ein sinnvolles Kreativevent für Freunde und Weggefährten mit Vorträgen und Workshops. Die Mitmach-Party kam so gut an, dass Ramsauer seitdem sozusagen gar nicht mehr aufgehört hat zu feiern.

Inzwischen ist Silicon Vilstal eine gemeinnützige Unternehmergesellschaft mit einem zehnköpfigen Team, das zusammen mit verschiedenen Partnern das ganze Jahr über verschiedene Projekte auf die Beine stellt: ein Erlebnisfestival, einen MINT- und Makerspace für Kinder und Jugendliche, einen Kreativraum für Kunst- und Kreativaktionen. Außerdem ist das Silicon Vilstal auf der Grünen Woche in Berlin vertreten und bei der Munich Creative Business Week.

Einfach loslegen

Dass die Voraussetzungen für Digitalisierung im Vilstal nicht optimal sind, hält hier niemanden auf. „Man kann auch ohne Breitband-Internet loslegen und Dinge ausprobieren“, sagt Ramsauer im Brustton der Überzeugung. Er hält die Menschen grundsätzlich für zu saturiert. Viele Ideen und nötige Veränderungen blieben so auf der Strecke. Im Vilstal entstehen auch ohne Glasfaserkabel Netzwerke, Bildungsinitiativen und Vertriebsstrukturen für selbstgemachte Marmelade beispielsweise.

„Hier auf dem Land fordert man die Wirksamkeit von Innovation ein. Die Leute sehen digitale Möglichkeiten neutraler und pragmatischer – ohne den Hype.“

Das bestätigt Ramsauers These, dass digitale Innovationen gerade in der Provinz auf besonders fruchtbare Erde fallen: „Hier auf dem Land fordert man die Wirksamkeit von Innovation ein. Die Leute sehen digitale Möglichkeiten neutraler und pragmatischer – ohne den Hype“, sagt Ramsauer. Eine App sei auch nicht immer der Weisheit letzter Schluss. Und manchmal zeigt die Praxis ungeahnte Nebenwirkungen. So geschehen bei einer Anwendung, über die sich eilige Pendler Kaffee und eine Leberkässemmel beim Bäcker im Voraus bestellen konnten. Sie mussten dann nur aus dem Auto raus und in den Laden reinspringen. Was die Macher nicht bedacht hatten: Die Kunden in der Schlange reagierten ziemlich ungehalten über die vermeintliche Bevorzugung. Ähnlich erging es den Programmierern einer Mitfahr-App. Prinzipiell eine gute Idee, nur die Menschen im Vilstal waren schon per Telefon gut organisiert.
Auch wenn nicht alle Ideen den Praxistest auf Anhieb bestehen, sind die Begegnungen ein Gewinn für beide Seiten: Als im Rahmen des Programms „Bauer sucht Start-up“ die Programmierer einer Plattform zur Bestellung von Agrarmitteln auf den Hof von Sepp Graf in Oberhaselbach einzogen, um ihre Idee live und vor Ort zu testen, war das der Beginn einer wunderbaren Freundschaft.

Helmut Ramsauer

Kunst ist kein Selbstzweck

Den Leuten, die sich bei Silicon Vilstal engagieren, geht es bei der Digitalisierung nicht um die Technik, sondern um den Nutzen. Die Initiative lebt von ihrem Netzwerk, der Mischung an Menschen, die sich für die Projekte engagieren, Ressourcen bereitstellen – und der Fähigkeit zum möglichst breiten Spagat. Dem Spagat zwischen Alt und Neu, zwischen Land und Stadt, zwischen Aufbrechen und Verharren – und gelegentlich auch zwischen Futter für den Kopf und Futter für den Bauch. Für das alljährliche Silicon-Vilstal-Erlebnisfestival auf dem alten Vierseithof des Bayerischen Trachtenverbandes zum Beispiel haben sie im vergangenen Jahr „einen ganzen Stall voll Innovation“ gepostet, wie Ramsauer sagt. Aber am meisten Likes hat der Beitrag über die Pizza bekommen, die ein hipper Bäcker für das Festival im über hundert Jahre alten Brotbackofenhaus zubereitet hat. Der Mensch lebt eben nicht von Bytes allein.

Smarte Region Vilstal

Das ZD.B unterstützt seit 2018 die Silicon-Vilstal-Regio-Macher-Konferenz, die einen praktischen Erfahrungsaustausch zwischen gesellschaftlichen Innovator*innen und ländlichen Macher*innen weit über die Grenzen Niederbayerns hinaus bietet. Neben dem Schwerpunkt „Smart Regions“ bespielt das ZD.B beim jährlichen Erlebnisfestival Themen wie digitales Landmanagement, Entrepreneurship und vernetzte Mobilität. Der Termin für das kommende Silicon-Vilstal-Erlebnisfestival ist vom 17. bis 20. September 2020.