Wie gelingt der digitale Wandel in der Arbeitswelt? Viele Fragen, drei Perspektiven – ein Gespräch.
Guten Morgen, Robi. Was steht heute an?“ Agile Prozesse, digitales Mindset, lebenslanges Lernen – wie wir morgen arbeiten werden, entscheidet sich heute. Wir befinden uns mitten im digitalen Wandel der Arbeitswelt. Doch wie gehen wir damit um? Während die einen die Arbeitswelt 4.0 als große Chance für die Zukunft begreifen, sorgen sich andere um die Risiken des Wandels.
Damit die Transformation gelingt, müssen sie alle aktiv mitgestalten. Dafür braucht es einen offenen Dialog, der für die unterschiedlichen Sichtweisen von Unternehmen sowie Belegschaft sensibilisiert und auch die Wissenschaft zu Wort kommen lässt. Wir haben mit der Sprecherin und den Sprechern der ZD.B-Themenplattform Arbeitswelt 4.0 Prof. Dr. Sabine Pfeiffer vom Lehrstuhl für Soziologie der FAU, Chief Digital Officer Dirk Ramhorst von Wacker Chemie und dem Betriebsratsvorsitzenden Clemens Suerbaum von Nokia gesprochen.
Pfeiffer: Seit Jahren reden alle von kaum etwas anderem als von der Digitalisierung. Dabei wird ein Druck erzeugt, sich als Unternehmen vor allem schnell zu bewegen – egal wohin, Hauptsache digitaler.
Suerbaum: Und damit steigt die Unsicherheit, die der Wandel eh schon bringt. Diese Unsicherheit kann man den Menschen auch nicht nehmen. Deshalb geht es darum, Zuversicht zu geben. Wir schaffen das – wenn nicht sofort, dann in einem zweiten oder dritten Schritt.
Pfeiffer: Es muss allen klar werden: Das Neue soll Lösungen für bestehende Probleme bieten oder neue Chancen eröffnen. Es geht nicht darum, irgendeine neue Technologie einzuführen und dann nach dem dazu passenden Problem zu suchen. Zudem braucht es gute Einführungsprozesse und auch Zeit, um die bestehenden Technologien und Prozesse mit dem Neuen zusammenzubringen.
„Die Arbeitswelt 4.0 funktioniert nur durch eine enge Zusammenarbeit der Sozialpartner und dem Begreifen des Wandels als Chance unter Berücksichtigung der Risiken.“
Ramhorst: Ganz genau, hier müssen wir anknüpfen. Die größte Herausforderung ist die strukturelle Veränderung zur Entwicklung neuer Fähigkeiten und Kompetenzen. Das können wir aber nur durch eine enge Zusammenarbeit zwischen Führung und Belegschaft meistern – und mithilfe eines modernen Personalwesens.
Suerbaum: Beteiligung, Beteiligung, Beteiligung – das sind die wichtigsten Kriterien für eine gelungene Transformation. Wer die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter nicht einbezieht, verschenkt das meiste Potenzial.
Dirk Ramhorst gestaltet als Chief Digital Officer die Digitalisierung bei der Wacker Chemie AG. Zuvor war er unter anderem bei BASF und Siemens tätig. (Bildrechte: Wacker Chemie AG)
Suerbaum: Mit dem Begriff „Lebenslanges Lernen“ verbinden viele, ewig die Schulbank drücken zu müssen. Diese Angst muss man nehmen. Vielmehr geht es doch darum, mit Veränderungen umgehen zu können. Wichtig finde ich in der Diskussion: Wo setze ich den Schwerpunkt bei der Weiterentwicklung meiner Belegschaft? Gebe ich jedem Einzelnen auch den Freiraum dafür? Einsparungen bei Zeitabläufen dürfen nicht nur einer höheren Produktivität dienen, sondern sollen dazu genutzt werden, neue Dinge zu probieren.
Ramhorst: Bereits vor 20 Jahren hat man von der lernenden Organisation gesprochen, die heute Realität ist. Unternehmen müssen sich darauf einstellen und verschiedene „Formate“ für die unterschiedlichen Generationen anbieten, um Lernen und Entwicklung im digitalen Umfeld zu fördern. Eine Schlüsselkompetenz wird dabei der bewusste Umgang mit Daten sein. Gerne spreche ich in dem Zusammenhang von „Daten als das Wasser der Zukunft“ – es ist zum Überleben wichtig.
„Gemeinsam, in partizipativen Prozessen und mit den Menschen, um deren Arbeitsprozesse es im Kern geht, werden wir den digitalen Wandel in der Arbeitswelt meistern.“
Pfeiffer: Es ist ja nicht so, dass Beschäftigte und Unternehmen zum ersten Mal mit neuen Anforderungen konfrontiert werden. Unsere Studien belegen, dass 74 % aller Beschäftigten heute schon häufig mit Wandel, mit Komplexität und mit Unvorhergesehenem umgehen müssen. Je partizipativer das Neue eingeführt wird, desto leichter können alle gemeinsam weiterkommen. Als eine der echten Herausforderungen sehe ich, dass das Potenzial neuer Technologien über- und die Fähigkeiten der Mitarbeiter und Mitarbeiterinnen unterschätzt werden.
Als Gesamtbetriebsratsvorsitzender der Nokia Solutions & Networks GmbH & Co. KG vertritt Clemens Suerbaum die Belange aller Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter. (Bildrechte: Nokia)
Ramhorst: Das lässt sich nur schwer voraussehen, aber Maschinen empfehlen sich grundsätzlich für repetitive, gefährliche und monotone Aufgaben.
Suerbaum: Ich teile nicht den Heilsgedanken, dass die Maschinen alle Mühsal und stumpfsinnige Arbeit übernehmen werden und die Menschen dann frei für kreative oder soziale Aufgaben sind. Es wird weiter „ganz normale“ Arbeit geben. Wie genau diese dann aussieht, muss sich noch zeigen.
Pfeiffer: In vielen Unternehmen, in denen ich forsche, sehe ich: Die Verführung ist groß, die 4.0-Technologien nach 1.0-Logik einzuführen. Also, die Technik nur so einzusetzen, dass die gleiche Arbeit effizienter erledigt wird. Das ist nicht bahnbrechend. Die wirklichen Innovationen sind ja nicht die neuen Technologien, sondern innovativ wird erst, was daraus gemacht wird.
Digitalisierung und Industrie 4.0 gehören für Dr. Sabine Pfeiffer zu den Schwerpunkten ihrer Forschung am Lehrstuhl für Soziologie der FAU Erlangen-Nürnberg. (Bildrechte: Thomas Riese)
Pfeiffer: Wie der Name schon sagt, es geht um Verantwortung. Auf der einen Seite die Verantwortung für die Daten und somit das hohe Gut der Privatheit und informationellen Selbstbestimmung. Hier braucht es verlässliche Regelungen für alle, damit verantwortungsbewusste Unternehmen auch wettbewerbsfähig bleiben. Zum anderen geht es auch um Fragen der Versorgungssicherheit. Vom Cyberangriff über Wirtschaftsspionage bis hin zu Naturkatastrophen: Vernetzte Systeme sind auch fragile Systeme.
Suerbaum: Ich meine, vieles ist auch gesunder Menschenverstand. Bestimmte Grundhaltungen sollten immer – analog wie digital – vorhanden sein: Respekt gegenüber dem Kunden und den Mitarbeitern, Einhalten gesetzlicher Vorgaben, Null-Toleranz gegenüber Korruption und Verstößen gegen Menschenrechte. Mit so einer Einstellung wird man in der digitalen Welt stets verantwortlich handeln. Die große Chance ist, ein Bewusstsein für die Verantwortung zu prägen und so einen Beitrag zu leisten zur Rückgewinnung der Datensouveränität und letztlich zu einem angstfreien Bewegen im digitalen Raum. Die Risiken eines durchdigitalisierten Lebens liegen in der Totalüberwachung und Datensammelwut. Es gibt aber keinen Schutz von Menschenwürde ohne Schutz der Privatsphäre.
„Der digitale Wandel gelingt, indem man ihn ausprobiert – mit Realitätssinn, Gelassenheit und einem Vorgehen, das erlaubt, falsch eingeschlagene Wege auch wieder zurückzugehen.“
Ramhorst: Im Mittelpunkt stehen für mich die ethischen Rahmenbedingungen beim Einsatz der neuen Technologien und Methoden. Es geht also um die verantwortungsvolle Umsetzung von Digitalisierung in der Gesellschaft. Chancen liegen vor allem darin, über nachhaltige digitale Lösungen unternehmerischen und gesellschaftlichen Mehrwert zu generieren.
Dr. Imme Witzel ist Koordinatorin der ZD.B-Themenplattform Arbeitswelt 4.0